COLEO

Gemeinschaft für Coleopterologie e. V.


COLEO

24


2024

ISSN 1616-3281


Nachweis von Nicrophorus germanicus (LINNAEUS,1758) (Coleoptera, Silphidae) in Gundersheim (Kreis Alzey-Worms, Rheinland-Pfalz) im Jahr 2024


Sabine Schwabe, Alzey

Eingegangen: 29.09.2024
Im WWW publiziert am: 04.10.2024


Abstract
A new finding of Nicrophorus germanicus in the district of Alzey-Worms (Germany, Rhineland Palatinate) is reported. In addition the occurence of the species in Rhineland Palatinate and accompanying species are presented.


Key words
Rhineland Palatinate, Coleoptera, Silphidae


Einleitung

Im Rahmen einer Insektenerhebung im Naturschutzgebiet Kalksteinbrüche Rosengarten nebst der angrenzenden Erweiterungsfläche in Gundersheim gelang mir der Nachweis des Deutschen Totengräbers (Silphidae) Nicrophorus germanicus (LINNAEUS,1758) im NSG mit einem und auf der Erweiterungsfläche mit insgesamt 12 Exemplaren.
Der Aaskäfer trat auch in der Vergangenheit nur selten in Erscheinung (HORION, 1949), ist aber in vielen kontrollierten älteren Sammlungen vertreten. Neue Funde fehlen. In vielen Bundesländern so z.B. Thüringen (HARTMANN, 2010, KNORRE, 1996), Brandenburg (ESSER, 2009), Sachsen (PETZOLD, 1997), Schleswig-Holstein (GÜRLICH et.al., 2011) und Bayern (BUSSLER & HOFMANN, 2003) fehlen neuere Nachweise. In Sachsen-Anhalt gelang der letzte Nachweis 1980 (MALCHAU, 2016). Auch in Rheinland-Pfalz liegt der letzte gemeldete Fund lange zurück.  Bei einer Nahrungs- und Habitatsanalyse des Steinkauzes im Jahr 1999 durch den NABU Landesverband Rheinland-Pfalz in Rheinhessen in der Nähe von Nierstein wurde ein Fund angegeben, Belege sind jedoch nicht dokumentiert (SCHMIDT et al., 1999). Hinzu kommen die Nachweise von FOLZ, (2011). Bei Überprüfungen der gängigen Plattformen, wie naturgucker.de, observation.org oder artenfinder.rlp.de konnten ebenfalls keine Nachweise festgestellt werden. Gemäß der Roten Liste der Aaskäfer (Insecta: Coleoptera: Silphidae) Deutschlands wird Nicrophorus germanicus mit Status 1 – vom Aussterben bedroht – geführt.



 

Abbildung 1: dorsale Ansicht N. germanicus Foto: Sabine Schwabe


Ausgangslage

Im Rahmen der Insektenerhebung im Naturschutzgebiet Kalksteinbrüche Rosengarten nebst der angrenzenden Erweiterungsfläche in Gundersheim führte ich mit meinem Entomologischen Büro von März bis Oktober 2024 eine Erhebung der Insekten durch. Schwerpunkt war die Erhebung der Coleoptera (Carabidae), Orthoptera und Heteroptera.  Hierzu wurden auf der Erweiterungsfläche und im NSG Rosengarten jeweils 30 Bodenfallen (Barberfallen) ausgebracht, die im vierzehntägigen Rhythmus geleert wurden.
Nicrophorus germanicus konnte mit einem Exemplar im NSG und mit insgesamt 12 Exemplaren Ende August und im September 2024 auf der Erweiterungsfläche in mehreren Bodenfallen nachgewiesen werden.

 


Der Käfer

Nicrophorus germanicus (LINNAEUS, 1758) ist die größte europäische Art aus der Gattung der Totengräber (Nicrophorus). Er ist in großen Teilen Europas und Nordasiens verbreitet. Das Verbreitungsgebiet reicht von Südschweden, Dänemark, Niederlande, Frankreich und Norditalien über Mittel- und Osteuropa bis nach Zentralrussland (bis zum Ural). In Deutschland und weiten Teilen Europas gilt er als selten (FREUDE, 1971).
N. germanicus hat eine Körperlänge von 20-30 Millimetern. Sein Körper, die Deckflügel (Elytren) sowie das Halsschild sind schwarz (Abb. 1). Es gibt seltene Exemplare, die ein oder zwei blutrote Flecken auf den Deckflügeln besitzen. Die Deckflügel sind abgestutzt, wie bei allen Arten der Totengräber. Er besitzt braunrote Epipleuren sowie ein rötliches Kopfschildmembran (vgl. Abb. 2 und Abb. 3). Die Tibien der mittleren Beine sind verbreitert, die Antennenkeule ist schwarz und breit.



N. germanicus Seitenansicht Schwabe
N. germanicus Seitenansicht Schwabe
Nicrophorus germanicus Kopf Schwabe
Nicrophorus germanicus Kopf Schwabe

 Abbildung 2 und Abbildung 3: Seiten- und Kopfansicht N. germanicus Foto: Sabine Schwabe



Der nachtaktive Käfer lebt von Aas, Geotrupiden, Aphodien sowie Dipterenlarven und nutzt Kadaver, die von ihm vergraben werden, als Eiablageplatz. REITTER (1909) gibt an, das N. germanicus an großen Kadavern auftritt, zur Reproduktion werden jedoch kleinere Äser genutzt.


Begleitarten

Neben Nicrophorus germanicus konnten in den Fallen noch weitere Aaskäfer gefunden werden (Abb. 4). Es handelt sich dabei um Nicrophorus interruptus, Nicrophorus investigator, Nicrophorus sepultor, Nicrophorus vespillo sowie Nicrophorus humator. Auch Silpha tristis Silpha obscura, Thanatophilus sinuatus, Phosphuga atrata, Nicrodes littoralis  konnten nachgewiesen werden, ebenso wie Ablattaria laevigata, die in der Roten Liste Deutschlands als stark gefährdet eingestuft wurde.
Weitere Funde waren unter anderem in großer Anzahl Blaps lethifera aus der Familie der Schwarzkäfer (Tenebrionidae), RL D G, sowie Trox perlatus, RL D V. Beide werden in der aktuellen Roten Liste Deutschlands als selten eingestuft.


Ablattaria laevigata
Ablattaria laevigata
Gerippter Totenfreund
Gerippter Totenfreund
Silpha tristis Trauriger Aaskäfer
Silpha tristis Trauriger Aaskäfer
Blaps lethifera
Blaps lethifera

 

Abbildung 4: Beispiele einiger Begleitarten - Ablattaria laevigata - Thanatophilus sinuatus - Silpha tristis - Blaps lethifera - 

Fotos: Sabine Schwabe


 

Fundort
Das Naturschutzgebiet Kalksteinbrüche Rosengarten (Abb. 5) liegt in der Gemarkung Gundersheim, Landkreis Alzey-Worms und ist 11,2 ha groß. In früheren Zeiten wurden hier Steine für den Hausbau entnommen, später erfolgte dann der Abbau von Kalksteinen durch die Zuckerindustrie (Südzucker), die die Kalksteine auf Schottergröße brachten, um den Kalk anschließend zu brennen und zur Zuckerraffinade einzusetzen. Nach der Aufgabe der Produktion im Jahr 1956 entwickelte sich ein wichtiges Rückzugsgebiet für Flora und Fauna mit einer Vielzahl seltener Arten. 1978 kaufte der BUND Rheinland-Pfalz das Grundstück und es wurde als Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Neben seiner Bedeutung für Flora und Fauna stellt der Steinbruch ein wichtiges geologisches und Bodendenkmal dar: Die Gundersheimer Kalke sind hauptsächlich sog. „Landschneckenkalke". Das Gewässer, in dem sie sich absetzten, war ein Süßwassersee, der vor rund 25 Millionen Jahren (mittlere Tertiärzeit) die Oberrheinische Tiefebene zwischen Basel und Mainz bedeckte. Bei späteren Hebungen entstanden zahlreiche Risse und Spalten. Sie enthalten eine fossile “Roterde” (Terra rossa), wo sich Knochen, Kiefer und Zähne von kleinen Nagetieren und Vertretern anderer Tierarten, darunter auch Zähne eines Halbaffen, finden. Neben dieser Rotfärbung gibt es andere Spalten, die mit einer Mischung aus gelbem Löß und Verwitterungslehm zugesetzt sind. In ihnen finden sich Überreste großer Säugetiere wie Wollnashorn, Höhlenbär und Hirsch; ein Hinweis auf die Entstehung dieser Spalten in der Mitte der Eiszeit.
Im Laufe der Erdgeschichte hat sich im Bereich des Steinbruchs ein buntes Mosaik von geologischen Ablagerungen gebildet. Entsprechend vielfältig ist die Bodenbildung im Steinbruch. Durch den Steinbruchbetrieb sind die Böden im zentralen Bereich stark gestört. Flachgründige Bodenbildungen auf Kalk sind extrem austrocknungsgefährdet. Dagegen kann vom Löß eine wesentlich größere Wassermenge gespeichert werden. Infolge der günstigen Mineralzusammensetzung sind hier größere Nährstoffmengen pflanzenverfügbar. *
Im Naturschutzgebiet gibt es ein Mosaik aus Kalktrocken- und Kalkhalbtrockenrasen, Pioniergesellschaften und Gebüschen.

*https://wonnegau.bund-rlp.de/themen-und-projekte/naturschutzgebiet-kalksteinbrueche-rosengarten/- abgerufen am 27.09.2024

 

Abbildung 5: Naturschutzgebiet Kalksteinbruch Rosengarten, Gundersheim Foto: Sabine Schwabe

Im Jahr 2018 hat der Landkreis Alzey-Worms über die Stiftung Natur- und Umwelt Rheinland-Pfalz aus Mitteln der Ersatzzahlungen eine unmittelbar an das Naturschutzgebiet angrenzende Ackerfläche von 3 ha erworben. Das „Erweiterungsprojekt NSG Kalksteinbrüche“ soll eine ökologische Aufwertung der Fläche und Entwicklung zu artenreichem Grünland erreichen und ein Biotopverbund zum NSG Rosengarten bilden (Abb. 6). Der BUND Kreisgruppe Wonnegau übernimmt hier die Aufwertung und Pflege für die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Alzey-Worms.

Abbildung 6: Erweiterungsfläche NSG Kalksteinbrüche Rosengarten, Gundersheim Foto: Sabine Schwabe

 

Zusammenfassung
Neben dem Deutschen Totengräber wurden 11 weitere Silphidae nachgewiesen. Somit konnte die Hälfte der deutschen Aaskäferarten in diesem ausgesprochen kleinen Areal gefunden werden. Dies unterstreicht die hohe Bedeutung dieses Gebietes für die regionale Biodiversität. Als besonders bemerkenswert muss die große Anzahl der gefangenen Nicrophorus germanicus angesehen werden – diese Art wird üblicherweise nur in Einzeltieren nachgewiesen. Die ausgesprochen stenöke Begleitfauna mit ihren faunistischen Besonderheiten soll an anderer Stelle vorgestellt und gewürdigt werden. Aber schon am Beispiel der Nachweise des Deutschen Totengräbers wird die hohe Bedeutung kleinräumiger Sonderstandorte und die Notwendigkeit der Pflege, auch zielgerichtet zum Erhalt besonderer Arten, deutlich.

Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Herrn Wolfgang  ROWOLD, Marienmünster, für die Bestimmungshilfe und Prüfung meiner Funde, dem umfangreichen Material, welches er mir zur Verfügung gestellt hat sowie seiner großen Unterstützung und Ermutigung, diese Publikation zu verfassen.  Ebenso bedanke ich mich bei Herrn Jens ESSER, Berlin, für die Prüfung meiner Funde. Ein Dank geht auch an Erik OPPER, Bad Soden,  für seine Unterstützung bei der Bestimmung und Fotografie der zahlreichen Käferfunde und seinen moralischen Beistand.

Literatur
BUSSLER, H. & G. HOFMANN (2003): Rote Liste gefährdeter Kurzflüglerartiger (Coleoptera: Staphylinoidea) Bayerns. – BayLfU 166: 117-128
ESSER, J. (2009): Verzeichnis der Käfer (Coleoptera) Brandenburgs und Berlins – Märk.Ent.Nachr.S5: 1-146
FOLZ, H.-G. (2011): Bedeutung unbefestigter Feldwege im Vogelschutzgebiet Ober-Hilbersheimer Plateau, Rheinhessen – Fauna Flora Rheinland-Pfalz 12 (1): 197-208
FREUDE, H. (1971): Familie Silphidae (Aaskäfer). – In: FREUDE, H.; HARDE, K. W. & LOHSE, G. A.: Die Käfer Mitteleuropas, Bd. 3. –  Krefeld (Goecke & Evers),  S.190–201
GÜRLICH, S., R. SUIKAT. & W. ZIEGLER (2011): Die Käfer Schleswig-Holsteins. Rote Liste Band 2 – Flintbeck (Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein), 110 S.
HARTMANN, M. (2010): Checkliste der Aaskäfer (Coleoptera: Silphidae & Agyrtidae) Thüringens. – Check-Listen Thüringer Insekten und Spinnentiere (Erfurt) 18: 33–35.
HORION, A. (1949): Faunistik der mitteleuropäischen Käfer, Band 2: Palpicornia – Staphylinoidae. –  Frankfurt (V. Klostermann), 388 S.
KNORRE, von D. (1996): Fund eines Necrophorus germanicus L., 1758 (Coleoptera, Silphidae) in Ostthüringen. – Thür. faun. Abh. (Erfurt) 3: 157–158.
MALCHAU, W. (2020): Rote Liste Sachsen-Anhalt, Aaskäfer (Coleoptera: Silphidae). – Ber. Landesamt Umweltsch Sachsen-Anhalt 1/2020: 585-590, Halle
PETZOLD, W. (1997): Kommentiertes Verzeichnis der Aaskäfer (Coleoptera, Silphidae et Agyrtidae) des Freistaates Sachsen. – Mitt. sächs. Entomol. (Mittweida) 36: 3–6.
REITTER, E. (1909): Fauna Germanica. Die Käfer des Deutschen Reiches, Band II. – Stuttgart (K. G. Lutz), 392 S.
SCHMIDT, A., G. BAUSCHMANN & S. SCHUCH (1999): Nahrungs- und Habitatanalyse am Steinkauz (Athene noctua) in Rheinhessen – unveröffentl. Gutachten des NABU, Mainz, 34 S.

Autor
Sabine Schwabe, Entomologisches Büro Sabine Schwabe, Rieslingweg 42, 55232 Alzey