COLEO
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| 2024 | ISSN 1616-3281
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Pannenglück:
Zufallsfund von Cylindera germanica (LINNAEUS, 1758) auf einem Rastplatz nahe Regensburg (Oberpfalz)
Daniel Sander, Langensendelbach
Eingegangen: 29.11.2024
Im WWW publiziert am: 02.12.2024
Abstract
A surprising encounter with the rare tiger beetle Cylindera germanica (L., 1758) due to a truck breakdown is described.
Zusammenfassung
Eine überraschende Begegnung mit dem seltenen Sandlaufkäfer Cylindera germanica (L., 1758) aufgrund einer LKW-Panne wird beschrieben.
Key words
Bavaria, Coleoptera, Cicindelidae, anecdote
Fundbericht
„Bei Hofe, im Krieg und unter Jägern schätzt man den glücklichen Zufall und rechnet ihn dem Manne zu.“ (JÜNGER 1975, S. 269) – ließ dereinst der Schriftsteller und Käfersammler Ernst Jünger (1895-1998) in seiner Erzählung Die Eberjagd verlauten, in der er die Erlegung eines Keilers trotz eines glatten Blindschusses beschreibt. Der Logik dieses Diktums folgend hätte ich mir auf das im Folgenden beschriebene Erlebnis einiges einzubilden, was freilich (und das wusste auch Jünger, als er seine Erzählung schrieb) nicht der Fall ist.
Es war am 12. August 2023, dass ich einem befreundeten Paar bei ihrem Umzug von Erlangen (Mittelfranken) nach Regensburg (Oberpfalz) zur Unterstützung gekommen war. Ein heißer, sonniger Tag war es mit über 30°C Außentemperatur. Einen Großteil der zur Verfügung stehenden Stunden hatten wir bereits für das Be- und Entladen der ersten Fuhre Habseligkeiten, wie auch die Fahrt von Erlangen nach Regensburg selbst verbraucht, als kurz nach 16 Uhr der Beschluss gereift war, trotz allem noch eine zweite Ladung Möbel mit dem extra für heute angemieteten Klein-LKW heranzuschaffen. Ich bestieg also mit einigen anderen Umzugshelfern das Fahrzeug, ein Auto mit weiteren helfenden Händen würde uns nachfolgen.
Kaum eine halbe Stunde von Regensburg entfernt passierte es dann: Urplötzlich begannen einige Warnleuchten auf dem Armaturenbrett zu blinken und der LKW gab schrille Warnsignale von sich. Er fuhr zwar noch, holperte aber merklich. Zur Vermeidung größerer Schäden steuerten wir also schleunigst den nächsten Rastplatz entlang der A3 an. Dort traf nach kurzer Zeit auch das zweite rückreisende Fahrzeug ein.
Während alles sich um den Pannen-LKW versammelte und über Schaddiagnosen und das weitere Vorgehen philosophierte, stach mir, der ich von Motoren und dergleichen nicht die geringste Ahnung habe, in etwa zwei Metern Entfernung auf dem Boden unvermittelt eine huschende Bewegung ins Auge. Ein kleines, längliches Etwas rannte über die sonnenheißen Betonplatten, in Gangart einer Ameise nicht unähnlich, aber doch größer als eine solche. Einem ersten Impuls folgend hechtete ich auf das kleine Tier zu und schaffte es schließlich, nach einigen missglückten Versuchen, ein Glasgefäß, das ich zu diesem Zweck stets bei mir trage, über den flinken Körper zu stülpen. Eine erste nähere Examination bestätigte meinen Verdacht: Es handelte sich um einen Sandlaufkäfer (Cicindelidae). Die beiden mir aus dieser Familie bis dato einzig näher bekannten Arten, Cicindela hybrida und Cicindela campestris, konnte ich rasch ausschließen, denn dieses Tier war merklich kleiner und außerdem passten die weiß-gelben Makeln auf den Elytren nicht. Diese waren nämlich auf je drei pro Seite reduziert, einen länglichen am unteren Saum, einen kleinen, tropfenförmigen mittig am jeweiligen Außenrand, sowie einen winzigen Tupfer an jeder Schulter, sodass die Flügeldecken des Käfers von einem schillernden Grün dominiert wurden, Halsschild und Kopf dagegen einen ins Violette spielenden Rot-Glanz aufwiesen (cf. Abb. 1 und Abb. 2). Eine kurze Internetrecherche schaffte elektrisierende Klarheit: Es handelte sich zweifellos um den sehr seltenen, nur räumlich begrenzt bekannten und in Bayern vom Aussterben bedrohten (LORENZ / FRITZE 2020, S. 14) „Deutschen Sandlaufkäfer“ (Cylindera germanica).
Während ich noch fassungslos den Käfer in seinem Glas vor mir betrachtete, fiel mir im Augenwinkel ein weiterer huschender Schatten auf – ein zweites Exemplar rannte in eben diesem Moment an mir vorbei. Der Pannen-LKW und meine diskutierenden Mitreisenden waren sofort vergessen, ich begann die unmittelbare Umgebung abzusuchen. Und tatsächlich wurde ich fündig: Insgesamt vier Individuen konnte ich beobachten, die sich alle in auffälliger Nähe rundum einen übergequollenen Mülleimer aufhielten. Ob die Käfer dort ihrer räuberischen Lebensweise entsprechend (FELIX 2012, S. 279; TRAUTNER 2017, S. 87; WACHMANN et al. 1995, S. 104) Jagd auf saprophage Insekten machten oder gar selbst weggeworfene Speisereste („Aas“) als Nahrungsquelle nutzen, konnte ich leider nicht herausfinden. Jedenfalls befanden sich zwei der von mir beobachteten Tiere in Kopula, trennten sich jedoch rasch, als ich mich ihnen näherte – zu schnell, um zu erfassen, ob es sich bei diesem Vorgang um das u.a. von FELIX (2012, S. 281) beobachtete „Abwerfen“ des Männchens durch das Weibchen handelte. Die Art hat aber offensichtlich an besagtem Rastplatz eine (zumindest bis zu diesem Zeitpunkt) stabile Population ausgebildet. Ich griff zu meinem Not-Foto-Equipment, das ich für derlei Situationen ebenfalls stets mit mir führe.
Abb. 1 (links): Cylindera germanica, Männchen (12.VIII.2023). Foto: Daniel Sander
Abb. 2 (rechts): Cylindera germanica, Weibchen (12.VIII.2023). Foto: Daniel Sander
Begeistert ins Beobachten und Fotografieren der Käfer vertieft hatte ich gar nicht mitbekommen, dass man hinter meinem Rücken, nach wie vor um den Pannen-LKW versammelt, inzwischen eine Entscheidung getroffen hatte: Ich sollte gemeinsam mit einem der beiden Umzügler in dem noch funktionstüchtigen Fahrzeug die Heimreise nach Erlangen fortsetzen und dort dabei helfen, noch einige Dinge einzupacken, während der Rest der Gruppe auf den Pannendienst warten würde. So willkommen mir die Aussicht darauf war, den übrigen Tag nicht auf einem Rastplatz an der A3 verbringen zu müssen, so ungern trennte ich mich doch jetzt schon von meiner dortigen Entdeckung. Nachdem ich also die Geduld meiner Mitreisenden mit meiner Fotografiererei und einigen euphorische Bemerkungen über meinen Fund zu genüge strapaziert hatte, bestieg ich endlich das Auto und wir setzten unsere Rückreise nunmehr zu zweit fort.
Erlebnisse wie dieses sind unter anderem der Grund dafür, warum mich die Entomologie derart in ihren Bann gezogen hat – dass aus einer so lästigen Situation, wie einer Autopanne, unverhofft und unverdient ein solches Höchstmaß an Entdeckerfreude erwachsen kann. Manchmal ist es uns Insektenbegeisterten eben zu fühlen vergönnt, jenes „Pannenglück“.
Literatur
FELIX, R. (2012): Waarnemingen aan de Duitse zandloopkever (Coleoptera: Carabidae: Cylindera germanica). – Entomologische Berichten 72 (6) 278-287.
JÜNGER, E. (1975): Ausgewählte Erzählungen. Stuttgart.
LORENZ, W.M.T.; FRITZE, M.-A. (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste Bayern: Laufkäfer und Sandlaufkäfer. Coleoptera: Carabidae. Augsburg.
TRAUTNER, J. (2017): Die Laufkäfer Baden-Württembergs Band 1. Stuttgart.
WACHMANN, E.; PLATEN, R.; BARNDT, D. (1995): Laufkäfer. Beobachtung – Lebensweise. Augsburg.
Autor
Daniel Sander
Frankenstraße 12
91094 Langensendelbach