COLEO

Gemeinschaft für Coleopterologie e. V.



COLEO

23

1-8

2023

ISSN 1616-3281


Kleiner Bericht zur Käferfauna der Hallig Langeneß

Johannes Sander

Eingegangen: 09. 05.2023
Im WWW publiziert am: 11. 05.2023

Einleitung:

Von April bis Juli 2022 hatte der Verfasser das Privileg, im Rahmen eines ornithologischen Forschungsprojekts vier Monate auf den Halligen Langeneß und Oland wohnen und arbeiten zu dürfen. Ziel des Projektes war es, den Prädationsdruck von Wanderratten (Rattus norvegicus) und größeren Raubsäugern auf bodenbrütende Vogelarten zu quantifizieren. Die nordfriesischen Halligen gelten als bedeutendes Refugium für zahlreiche in Deutschland vom Aussterben bedrohte Brutvogelarten - wie etwa die Zwergseeschwalbe (Sternula albifrons) oder der Sandregenpfeifer (Charadrius hiaticula) – was eine intensive Erforschung und Überwachung der Gefährdungspotenziale für die dort brütenden Vögel rechtfertigt.

Nicht minder spannend und schützenswert – jedoch weit weniger erforscht – ist die Insektenwelt der Halligen und so war meine Arbeit auf der Hallig Langeneß eine hervorragende Möglichkeit, mich neben meiner ornithologischen Feldarbeit auch der Erforschung der Käfer und Wanzen in der Umgebung zu widmen. Der folgende Bericht soll einen Überblick über lohnende Stelle für eine Exkursion auf der Hallig Langeneß geben und kurze Anekdoten zu erwähnenswerten Käferfunden geben. Es besteht in keiner Weise der Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit.

Material und Methoden:
Da für das Anlegen einer wissenschaftlichen Sammlung keine Genehmigung vorlag, wurde auf die Entnahme von Organismen verzichtet. Daher besteht bei manchen Funden auch eine Restunsicherheit, was die endgültige Artbestimmung angeht. Alle Käfer wurden entweder durch sorgfältiges Absuchen geeigneter Lebensräume oder durch vorsichtiges Keschern von Vegetationsrändern gewonnen (Abb. 1). Im Falle von wassergefüllten Gräben wurden die Vegetation der Ränder unter Zuhilfenahme eines Handfegers von der Wasserseite aus vorsichtig abgekehrt und die Organismen in einer Sammelschale aufgefangen. Die gefangenen Käfer wurden direkt im Feld mit einer Einschlaglupe untersucht und bestimmt. Sofern dies nicht möglich war, wurden Fotoaufnahme von möglichst vielen Körperpartien der Käfer gemacht und diese anschließend am Computer ausgewertet. Auch bereits im Feld bestimmte Arten wurden – meist in ihrem natürlichen Lebensraum - fotografisch dokumentiert. Alle Organismen wurden an ihrem Fundort wieder ausgesetzt.


                               Abb. 1: Der Autor auf der Suche nach Käfern an Schlickgras. © Daniel Sander

Standort Hallig Langeneß:
Die Hallig Langeneß ist mit etwa zehn Kilometern Länge die größte der zehn nordfriesischen Halligen. Sie liegt nur wenige Kilometer vom Festland entfernt zwischen den Inseln Föhr im Norden und Pellworm im Süden. Da Halligen durch die Ablagerung von Schwemmsubstarten in strömungsberuhigten Bereichen des Wattenmeers entstehen, besitzen sie – anders als die Inseln – keinen Gesteinskern und somit auch kein Grundwasserreservoir. Die Landflächen liegen kaum höher als der Meeresspiegel und werden bei Sturmfluten im Herbst und Winter überspült. Bei diesen Überflutungen steht das Wasser mehrere Stunden, manchmal sogar Tage, im Inneren der Hallig und kann dabei neues Sediment ablagern. Die sogenannten „Landuntern“ sind somit von größter Wichtigkeit für das weitere Aufwachsen der Halligen, weshalb diese auch nicht eingedeicht werden, um derartige Überschwemmungen zu verhindern.
Die natürliche Phytozoenose der Halligen ist – bedingt durch den enormen Einfluss des Salzwassers – die Salzwiese. Die natürliche Zonierung der Salzwiesen (Künnemann et al. 1997)[1] ist auf den Halligen – wie auch an vielen anderen Stellen des trilateralen Wattenmeers – zu großen Teilen verloren gegangen. Grund dafür ist im Falle der Halligen zum einen die Befestigung der Halligränder mit Basaltgestein (Abb. 2). Diese Baumaßnahme, die auf Langeneß 1876 begann und über 30 Jahre andauerte, sollte die beständige Erosion an einer Stelle und Sedimentation an anderer Stelle unterbinden und der Hallig eine feste Form geben. So erfolgreich die Befestigung der Halligen war, so schwerwiegend muss jedoch auch der Verlust dieses natürlichen Übergangs von Watt zu Salzwiese für die Arten- und Strukturvielfalt gewesen sein.

 Abb. 2: Die Steinkante umgibt die Hallig nahezu vollständig. Ein Spaziergang hier erfordert Trittsicherheit und gutes Schuhwerk.

Da der Großteil der höher gelegenen Halligflächen von Rindern beweidet wird, bestehen die meisten Wiesen aus einer recht artenarmen Zusammensetzung verschiedener Grasarten, so etwa Puccinellia maritima, Festuca rubra und Agrostris tenuis. An solchen Stellen profitieren vor Allem die Vertreter der Rhynchoten von dem reichen Angebot an Grassamen, sodass Wanzen- und Zikadenliebhaber*innen hier durch Abkeschern der Vegetation auf ihre Kosten kommen können.
Es lohnt sich, für eine ergiebige Ausbeute insbesondere die Stellen der Hallig aufzusuchen, an denen die Salzwiesen und die Halligränder ihrem natürlichen Zustand noch am nächsten kommen. Im Folgenden soll es um ebensolche Orte gehen.

Abb. 3: Die Hallig Langeneß ist etwa 10 km lang. Auf ein Fahrrad sollte daher nicht verzichtet werden! (Bildquelle: Google Earth 2023)

Der Westen:
Die westlichste Warf – so werden die künstlichen Erdhügel genannt, auf denen die Häuser der Menschen aus Gründen des Hochwasserschutzes errichtet wurden – beherbergt den Leuchtturm der Hallig. Es handelt sich eigentlich nicht um einen wirklichen Leuchtturm sondern vielmehr um ein sogenanntes Quermarkenfeuer, welches ähnlich aussieht, anders als ein Leuchtturm jedoch kein individuelles Lichtsignal entsendet, sondern anhand von verschiedenfarbigen Leuchtfarben den Schiffen einen Kurswechsel signalisieren soll. Rund um diese Leuchtturmwarf (A) gibt es noch einige Stellen mit Recht üppigem Wuchs verschiedener Salzwiesenpflanzen (Abb. 3). Der Weg zum Leuchtturm wird auf dem letzten Stück linker Hand von einem Priel begleitet, welcher in den Sommermonaten meist völlig trocken ist. Insbesondere an dieser Stelle lässt sich der berüchtigte Halligflieder-Spitzmausrüsselkäfer (Pseudaplemonus limonii) in großer Zahl beobachten (Abb. 4 und Abb. 5). Seine Wirtspflanze, der Strandflieder (Limonium vulgare) – auf den Halligen auch Halligflieder genannt – bringt hier aufgrund ihres Wachstums an den Prielränder mit freihängenden Wurzeln ideale Voraussetzungen für diese Art mit sich. Da die Eier des P. limonii in Kammern abgelegt werden, die die Imagines in die Wurzeln der Wirtspflanze nagen, kann die Art nur an solchen Standorten gefunden werden, die ein Freiliegen der Wurzeln ermöglichen. Dies hat auch ein eigenes „Experiment“ des Verfassers verdeutlicht, bei dem auch nach andauerndem, intensiven Abkeschern von Wirtspflanzen mit unterirdisch liegenden Wurzeln kein einziges Individuum von P. limonii gefunden werden konnte. Weitere Arten, die in diesem ausgetrockneten Priel gefunden werden konnten, waren etwa Dyschirius cf. salinus, Bembidion minimum, Bembidion cf. varium, Dicheirotrichus gustavii, Heterocerus flexuosus und Heterocerus cf. obsoletus.

Abb. 4: Ausgetrockneter Priel an der Leuchtturmwarf. Der häufig wachsende Strandflieder beherbergte an dieser Stelle ein großes Vorkommen von P. limonii.

Abb. 5: Der Halligfliederspitzmaus-Rüsselkäfer (Pseudaplemonus limonii) nagt zur Eiablage kleine Kammern in die Wurzelhälse seiner Wirtspflanze.

Die Steinkante:
Abgesehen von wie oben beschriebenen Prielrändern, ist P. limonii außerdem in großer Zahl auf der Steinkante rund um die gesamte Hallig zu finden, da die Abstände zwischen den Basaltsteinen die Wurzelhälse der dort wachsenden Strandflieder ebenfalls frei liegen lassen. Beim Spaziergang über die Halligkante (Trittsicherheit erforderlich, der Weg ist sehr uneben und meist rutschig!) lohnt es sich auch stets, angespültes Schwemmholz zu untersuchen. Mit etwas Glück kann so auch der Treibholzrüssel (Pselactus spadix) entdeckt werden (Abb. 6). Der einzige Fund des Verfassers gelang am 05. Juni auf der Steinkante im Westen der Hallig. An gleicher Stelle konnte außerdem ein Exemplar von Halosalda lateralis nachgewiesen werden.

Abb. 6: Dieses Exemplar von Pselactus spadix wurde auf Treibholz an der Steinkante entdeckt.


Das Watt und Vorland:
Von der Steinkante aus sollte auf einen Spaziergang im Watt nicht verzichtet werden. Die besten Stellen sind solche, an denen die Hallig ihren natürlichen Übergang von Land zum Meer bzw. Watt noch nicht verloren hat, wo also noch keine künstliche Steinkante einen rapiden Einschnitt zwischen Wattflächen und Halligland vollzieht (Abb. 7).

Abb. 7: Blick auf das Vorland von der Wattseite. Erkennbar ist der natürlich fließende Übergang zwischen Watt und Halligfläche

Der einzige Ort auf der Hallig, an dem ein solcher Übergang noch gegeben ist, ist das Vorland (B) ganz im Osten der Hallig. Dieser Bereich ist Teil des Nationalparks und wird somit komplett sich selbst überlassen. Leider bedeutet dies auch, dass dieser gesamte Teil inklusive der umgebenden Wattflächen für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Die Salzwiesen beherbergen insbesondere im Frühling und Sommer eine Vielzahl von äußerst seltenen Brutvogelarten, die empfindlich auf Störungen reagieren. Da es sich bei allen Arten um bodenbrütende Vögel handelt, muss auf ein Betreten dieser Bereiche unbedingt verzichtet werden, da sonst ein (unbeabsichtigtes) Zertreten der gut getarnten Gelege droht (Abb. 7). Auch eine Annäherung von der Wattseite aus führt zu starken Störungen, die zum Auffliegen ganzer Brutkolonien führen können. Es sei daher noch einmal eindringlich darauf hingewiesen, dass ausgeschilderten Betretungsverboten unbedingt Folge geleistet werden muss.

Abb. 8: Die Nester vieler Bodenbrüter sind auch aus unmittelbarer Nähe kaum zu erkennen und können daher leicht zertreten werden. Auf ein Betreten der Brutgebiete muss daher unbedingt verzichtet werden. Können Sie das Gelege des Sandregenpfeifers in diesem Foto entdecken?

Da der Verfasser selbst einige Brutkolonien an dieser Stelle im Rahmen seiner Arbeit betreut hat, wurde ihm das Privileg zu teil, die ausgewiesenen Verbotszonen in regelmäßigen Abständen vorsichtig betreten zu dürfen. Es kann daher zumindest oberflächlich über das dort vorhandene Artenspektrum berichtet werden: Der stark kleihaltige Wattboden in Nähe zur Hallig wies eine nahezu kolonieähnliche Besiedlung von Bledius - Arten auf. Vorkommen dieser attraktiven Käfer können vor Allem in der Quellerzone, also dem Bereich im Watt, der dem Land am Nähesten liegt, gefunden werden und sind leicht an den deutlichen Substrathäufchen, die sich durch die Grabungsaktivität der Tiere an den Öffnungen ihrer Wohnröhren bilden, identifiziert werden (Abb. 9). Hat man eine solche Stelle im Watt entdeckt, kann insbesondere in den Morgen- und Abendstunden, in denen die Käfer besonders oberirdisch aktiv zu sein scheinen (persönliche Beobachtung!), schnell ein Tier entdeckt werden. Insbesondere an warmen Maiabenden schwärmen die Tiere mitunter enorm (Abb. 10). Besitzt man weniger Geduld, kann auch durch vorsichtiges Ausgraben (am besten mit bloßen Händen, um ein versehentliches „Zerstechen“ der Käfer etwa mit einer Schaufel zu vermeiden) die Besiedlung einer Röhre überprüft werden. Beim Suchen im Watt wurden im selben Lebensraum auch Cillenus lateralis (3 Ex.) und Dicheirotrichus gustavii (1 Ex.)

Abb. 9 Ein Vorkommen von Bledius-Arten im Watt kann leicht an den charakteristischen Substrathäufchen identifiziert werden. Im Watt des Vorlandes waren weitläufige Stellen dicht an dicht besiedelt

Abb. 10: Weibchen des prächtigen Salzkäfers.

Eine ergiebige Lorenfahrt:
Am Abend des 02. Juli 2022 befand sich der Autor mit dem Team der Naturschutzstation Wattenmeer auf einer Lorenüberfahrt nach Langeness. Die Halligen Oland und Langeneß sind über einen kleinen Damm, auf dem Schienen verlegt sind, mit dem Festland verbunden, sodass die Halligleute unabhängig von Schiffen und Gezeiten zwischen Festland und Hallig hin und her fahren können (Abb. 11). Nach kurzer Fahrt fielen bereits zahlreiche kleine Staphyliniden auf, die sich an den Jacken, Haaren und Mützen der Fahrgäste sammelten. Da glücklicherweise ein ausreichender Bestand an Sammelröhrchen zum Lebendfang mitgeführt wurden, konnten über die 45-minütige Lorenfahrt in Teamarbeit nahezu alle verfangenen Käfer abgesammelt werden. Am Ende der Fahrt zählte man weit über 50 Tiere (ein Autokescher hätte sich in dieser Situation wohl überaus gelohnt). Die Käfer wurden in Fangschalen verfrachtet und zur Bestimmung fotografiert. Nach getaner Arbeit konnten die Tiere am Lorendamm auf Langeneß wieder in die Freiheit entfliegen. Einen Großteil der gefangenen Käfer bildeten Anotylus rugosus. Des Weiteren befanden sich Käfer der Gattungen Helophorus, Atomaria und Cercyon unter den Exemplaren. Außerdem ein Individuum der Ochthebius marinus – Gruppe sowie ein Individuum des Blemus discus. Ein besonderes Highlight war ein Exemplar von Bledius  bicornis.

Abb. 11: Blick ins Vorland vom Wanderweg. Rechts im Bild sind die Schienen der Lorenbahn erkennbar, die die Halligen Langeneß und Oland mit dem Festland verbindet.

Aussichten:
Die Halligen des Wattenmeers bergen für alle Naturbegeisterte eine hervorragende Möglichkeit sich in entschleunigender Umgebung auf die Suche nach zum Teil hochspezialisierten Arten zu machen. Dieser kurze Beitrag bietet nur einen sehr oberflächlichen Einblick in die faszinierende Welt der Salzkäfer, sodass eine eingehendere und vor Allem wissenschaftlichere Bearbeitung der Käferfauna der Halligen als äußerst lohnend erscheint. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem damit einhergehenden zu befürchtenden Schwund der Halligen innerhalb des kommenden Jahrhunderts ist es umso wichtiger, sich für den Erhalt und die Erforschung dieses einmaligen Lebensraumes einzusetzen.

Literatur:

[1] Künnemann, T. & Gunnar, G. (1997). Die Zonierung der Salzwiese. In: Salzwiesen – Überleben zwischen Land und Meer, S. 60–61. Isensee Verlag, Oldenburg.

Kontakt zum Verfasser: Johannes Sander, entomologie@johannes-sander.de